Warum ich keine Leserbriefe schreibe

Ich schreibe normalerweise nie Leserbriefe.

Leserbriefe sind im Zeitalter der elektronischen Kommunikation eigentlich überflüssig geworden, das Internet bietet über Facebook und Co einen viel direkteren und schnelleren Kontakt. Dennoch sind Leserbriefe immer noch ein gerne gesehener Teil der Printmedien. Wenn man bedenkt, dass man bei Printmedien bis zur nächsten Ausgabe warten muss, um seinen Leserbrief – vielleicht – veröffentlich zu sehen, sollte man meinen, dass sowieso niemand Leserbriefe schreibt. Aber hier spielt natürlich der Drang nach Anerkennung eine wesentliche Rolle: Wer will nicht einmal seinen Namen, vielleicht sogar sein Bild, in einem gedruckten Werk sehen. Ein kleines Stück Berühmtheit…

Der Zeitung kann es recht sein – Leserbriefe machen zwar Arbeit, aber sie machen das Medium auch interessanter für andere Leser. Also eine Win-Win Situation?

Beileibe nicht.

Ganz allgemein ist der Sinn von Leserbriefen, ein Feedback der Leserschaft zu bekommen und den Lesern gleichzeitig ein – natürlich gefiltertes – Stimmungsbild zurückzuspiegeln und das Produkt dadurch interessanter zu machen. Man kann Leserbriefe durch gezielte Selektion wunderbar zur Manipulation der Leserschaft verwenden, indem man nur diejenigen Zuschriften veröffentlicht, die den eigenen Zielen nützen und diejenigen unterdrückt, die den eigenen Zielen schaden. In der Regel wird man natürlich auch einen gewissen Teil kritischer Zuschriften veröffentlichen, natürlich nur, wenn die Kritik entkräftet werden kann oder es sich nur um leichte Kritik an unwesentlichen Dingen handelt. Offensichtliche Fehler wird man natürlich zugeben müssen, aber da veröffentlich man dann lieber an anderer Stelle eine Korrektur.

Leserbriefe sind vermutlich sogar effizienter als eigene Artikel, weil der Leser sich mit der Masse der anderen Lesern eher identifiziert als mit der meist anonymen Redaktion und die Veröffentlichung leicht kritischer Leserbriefe vermittelt den Anschein von Offenheit, der oft gar nicht existiert. Dem Leser wird so der Anschein vermittelt, er könne Einfluß auf die Ansichten und Themenwahl der Redaktion nehmen.

Für den Herausgeber haben Leserbriefe aber noch einen anderen Vorteil: Er weiß nach kurzer  Zeit – je nach Schreibfreudigkeit der Leser – recht genau, wie der jeweilige Schreiber einzuschätzen ist und bekommt so einen mehr oder weniger repräsentativen Überblick über Kritiker und Förderer und deren Anteil in der Leserschaft. In der Regel wird bei Leserbriefen die Angabe von Name, Anschrift und oft auch Telefonnummer gefordert. Man liefert also gratis seine Adressdaten (falls man nicht sowieso Abonnent ist) und mit dem Inhalt des Leserbriefs auch gleich noch ein Selbstportrait. Mit jedem Leserbrief erfährt der Herausgeber mehr über den Schreiber. Eine solche Datenerfassung und Auswertung kostet zwar etwas Arbeit, lohnt sich aber, denn der so entstehende Datenbestand ist ideal dazu geeignet, gute Förderer oder harte Kritiker zu identifizieren und dann gezielt zu bearbeiten. Adressen und Telefonnummern hat man ja.  Die dazu nötige Datenspeicherung und -Verarbeitung ist nach BDSG natürlich illegal und strafbar, solange der Autor nicht einer entsprechenden Erklärung zugestimmt hat. Solche Erklärungen hat man aber häufig unwissentlich im Kleingedruckten mit abgegeben und damit hat der Herausgeber theoretisch die Möglichkeit, eine ganze Datenbank mit Persönlichkeitsprofilen aufzubauen. Unabhängig von einer solchen Erklärung, kann man nach BDSG jederzeit Auskunft über die gespeicherten Daten und eine bestätigte Datenlöschung fordern.

Natürlich besteht die Möglichkeit der Datensammlung und Profilbildung auch im Internet, allerdings kann hier nur schlecht manipuliert werden. „Leserbriefe“, sprich Einträge auf Pinwänden, in Foren, etc. sind sofort öffentlich, können nicht unterdrückt werden und Zensur fällt sofort auf. Reaktionen auf Beiträge sind sofort für alle sichtbar und selbst der Versuch, unter Umgehung des Mediums Kritiker direkt zum Verstummen zu bringen, birgt die Gefahr, dass dieser Versuch öffentlich gemacht wird.