Nahrungsergänzungen

Ich wurde vor kurzem nach meiner Meinung zu Nahrungsergänzungen gefragt und da ich in meinem SPAM Filter neben den unsäglichen Casino-Abzocker- und Stehhilfeverlängerungsangeboten sowieso regelmäßig wahre Wunder über Nahrungsergänzungen lesen kann, habe ich das einfach mal zum Thema des Tages erklärt.

Mal ganz davon abgesehen, dass ich solche Mittel ganz bestimmt nicht bei einer windigen Hinterhofbude in Lampukistan bestelllen würde und das so vertriebene Zeug in der Regel sowieso gefälscht sein dürfte, bin ich auch ansonsten nicht wirklich die passende Zielgruppe für nahrungsergänzende Wundermittel. Zum einen brauche ich so etwas dank Vollwerternährung sowieso nicht, zum anderen sind Nahrungsergänzungen nichts anderes als modernes Snake-Oil. Ja, genau. Das Zeug (meist war’s wohl Petroleum), das fahrende Händler im wilden Westen gerne den Leuten für alle möglichen Krankheiten angedreht haben und sich dann sehr schnell aus dem Staub machen mußten, bevor die Kundschaft ob der hervorragenden Unwirksamkeit und der wenig lustigen Nebenwirkungen anfing, nach einem Baum nebst passendem Seil zu suchen…

Die Unwirksamkeit ist heute immer noch die gleiche, aber die Sache mit dem Baum und dem Seil ist heute ganz schlechter Stil. Außerdem sind Flüge nach Lampukistan zu teuer, das lohnt nicht. Gegen Snake-Oil hilft heute nur eins: Aufklärung. Wer Snake-Oil erkennt, ist kein Kunde mehr. Und ohne Kunden kann sich der Händler ein anderes Betätigungsfeld suchen. Casinoabzocke ist gerade in, habe ich gesehen… ;)

Nahrungsergänzungen sollen – so die Behauptung der Verkäufer – die in unserer minderwertigen Nahrung fehlenden Vitalstoffe ergänzen. Nun, die offensichtliche Lösung wäre einfach, keine minderwertige Nahrung mehr zu essen, aber da wird dann natürlich argumentiert, dass ALLE unsere Nahrung heute minderwertig sei (was natürlich Unsinn ist). Glauben wir das aber erst mal und fragen uns: Funktionieren Nahrungsergänzungen?

Ja, natürlich funktionieren sie.Sie sind hochwirksam: Sie spülen nämlich enorme Geldmengen in die Taschen der Verkäufer. Der Umsatz mit Nahrungsergänzungen wird laut Pharmazeutischer Zeitung in Deutschland auf satte 1,3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Weltweit sollen es rund 300 Milliarden sein. Holla? Kein Wunder, dass man bei einer Websuche über 7,5 Millionen Treffer bekommt. Das ist ein Riesengeschäft, da will jeder seinen Teil vom Kuchen haben.

Wie sieht es aber nun mit der Wirksamkeit aus? Funktioniert Nahrungsergänzung überhaupt?

Dazu müssen wir uns erst einmal klarmachen, welche Stoffe da ergänzt werden sollen.  Unsere Nahrung besteht, grob gesagt, aus Nähr- und Vitalstoffen. Nährstoffe sind die Energieträger Kohlenhydrate und Fette, sowie der „Bausteinlieferant“ Eiweiß, der sich ja aus diversen Aminosäuren zusammensetzt. Um diese Nährstoffe aufnehmen und im Rahmen der Stoffwechselvorgänge verarbeiten zu können, werden viele Hilfsstoffe benötigt: Die Vitalstoffe. Dazu gehören neben den Vitaminen auch Mineralien, Spurenelemente, ungesättigte Fettsäuren, Enzyme, Farb-, Faser- und Aromastoffe.

Diese Vitalstoffe sind – soweit haben die Vertreiber sogar recht – gegenüber verschiedenen Einflüssen sehr empfindlich und werden daher bei der Verarbeitung der Nahrung mehr oder weniger stark geschädigt.

Das Problem ist nun aber, dass unser Organismus auf die in der Natur vorkommende Nahrung ausgelegt ist und diese Nahrung liefert neben den Nährstoffen immer auch alle nötigen Vitalstoffe mit, die zur Verarbeitung der Nährstoffe benötigt werden. Es gibt zwar natürliche Schwankungen, aber um diese auszugleichen, verfügt der Organismus über Depots. Die sind aber gerade nur so groß, wie sie sein müssen, um die natürlichen Schwankungen abzupuffern. Also im Prinzip, wie in einer Fabrik, in der sich eine Abteilung ein kleines Zwischenlager eingerichtet hat, um kontinulierlich arbeiten zu können, auch wenn die Anlieferung mal kurz stockt.

Vitalstoffe werden also immer passend zur jeweiligen Nahrung und gleichzeitig mit den Nährstoffen benötigt.

Weiterhin benötigt unser Organismus die Vitalstoffe auch in einem passenden Verhältnis zu den Nährstoffen. Und auch die Vitalstoffe untereinander müssen in bestimmten Mengenverhältnissen vorliegen. Bei naturbelassenen Lebensmitteln ist das zwangsläufig gegeben.

Wie sieht das nun bei Nahrungsergänzungen aus?

Passend zur jeweiligen Nahrung? Nein.
Gleichzeitig mit der Nahrung? Nein.
Passendes Verhältnis zu den Nährstoffen der Nahrung? Nein
Passendes Verhältnis untereinander? Nein.

Hinzu kommt, dass bestimmte Vitalstoffe prinzipiell nicht „funktionsfähig“ in Nahrungsergänzungen enthalten sein können. Ungesättigte Fettsäuren sind hochreaktiv und würden verderben. Sie müssen also inaktiviert sein. Enzyme sind Eiweiße, die durch die bei Nahrungsergänzungen notwendige Konservierung zumindest strukturell geschädigt (denaturiert) werden und damit unwirksam werden. Faserstoffe fehlen vollständig, sie werden fälschlicherweise sowieso als überflüssiger „Ballast“ angesehen.

Außerdem sind bei weitem noch nicht alle Vitalstoffe bekannt. Und von denen, die bekannt sind, ist nur ein Bruchteil erforscht. Von den Erforschten wiederum kann nur ein Bruchteil überhaupt für Nahrungsergänzungen verwendet werden und nur ein Teil davon ist für NEM zugelassen. Was wir in einer Nahrungsergänzung haben, ist also prinzipbedingt nur ein kleiner Teil des gesamten Vitalstoff-Spektrums.

NEM können also gar nicht funktionieren. Sie liefern von einem Bruchteil der nötigen Stoffe unpassende Mengen in unpassenden Verhältnissen unpassend zur Nahrung. Hier zu hoffen, einen Mangel auszugleichen, ist ähnlich wie einen Sack Reis über Afrika abzuwerfen und zu hoffen, damit den Hunger stillen zu können.

Aber Nahrungsergänzungen sind deshalb nicht nur unwirksam, sie sind sogar gesundheitlich nachteilig. Warum? Weil die Vitalstoffe ja selbst erst einmal resorbiert und transportiert werden müssen. Dazu werden wieder andere Vitalstoffe benötigt, die in der NE meist nicht enthalten sind. Der Organismus muss diese fehlenden Stoffe also aus seinen eigenen Depots nehmen oder aus Knochen und Muskeln mobilisieren. Da die NEM Hersteller (und Kunden) meist nach dem Motto „Viel hilft viel“ vorgehen, verschlimmert das die Lage umso mehr. Die Zufuhr einer großen Menge eines bestimmten Vitalstoffs führt also zu einem relativen Mangel an all den anderen Vitalstoffen, die zu dessen Verarbeitung benötigt werden. Bildlich gesprochen stopft man mit der Nahrungsergänzung ein Loch und reißt dafür fünf neue auf. Man verschlimmert also den Mangel sogar noch.

Das ist in etwa so, als würde man mal eben in einer Bäckerei eine Palette Hefe in die Backstube knallen. Was soll die Bäckerei damit anfangen? Sie muss die Hefe verarbeiten, denn die steht im Weg und verdirbt schnell. Also muss sie verbacken werden, aber blöderweise hat der Lieferant kein Mehl dazugestellt. Da hilft nur die Mehlvorräte zu leeren und zu backen, was das Zeug hält. Salz ist dummerweise auch nicht genug da, von Eiern und Gewürzen mal gar nicht zu reden. Die ganze Bäckerei ist am Rennen und kratzt alles zusammen, um die Hefe loszuwerden. Man muss aber auch Kuchen backen, Brote herstellen, Brötchen vorbereiten – all das gerät ins Hintertreffen und außerdem fehlen die Backmittel, weil die ja benötigt werden, um die Hefe wegzuschaffen. Am Ende des Tages ist die Hefe weg, es gibt Unmengen von mehr schlecht als recht gebackenen Hefeteilchen und die Kunden sind stinkesauer, weil nicht genügend Brot, Brötchen und Kuchen da waren. Etliche Kunden konnte ihre bestellten Brötchen nicht mitnehmen, in der Schulkantine bricht das Chaos aus, weil die bestellten Brote nicht kamen, eine Hochzeit musste abgesagt werden, weil der Hochzeitskuchen fehlte, …

Alles nur, weil einer meinte, die Bäckerei würde besser arbeiten, wenn man ihr nur mehr Hefe hinstellt…

Also: Nahrungsergänzungen sind nicht nur in weiten Teilen unwirksam, sie stören auch Stoffwechselvorgänge und fördern so tatsächlich Krankheiten.

Außerdem führen NEM – neben der Schwindsucht des Geldbeutels – noch zu einem anderen, ganz wesentlichen Problem: Sie halten die Leute davon ab, die eigentlichen Ernährungsfehler zu korrigieren, denn die meisten sind leider der Ansicht, man könne minderwertige Nahrung mit Pillen wieder zu hochwertiger Nahrung machen. Das geht aber nunmal nicht. Aus einer Büchse konserviertem Apfelkompott wird auch unter Zusatz von noch so viel Nahrungsergänzung nie mehr ein Apfelbaum…